Der Schlüsselzeuge: Massive Eingriffe der Generalstaatsanwaltschaft

24./ 25. Sitzung des UA Labor
Massiver Druck, den die Mitglieder der „SoKo Labor“ nur in unterschwelligen Ausläufern zu spüren bekam, wurde auf mindestens eine Person direkt ausgeübt: auf Andreas Harz, damals sachleitender Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I in dem Verfahren rund um das Labor Schottdorf. Harz, ein hervorragender Jurist und inzwischen Vorsitzender Richter am Landgericht München I, schilderte während seiner Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss „Labor“ eindrücklich, wie er von der Generalstaatsanwaltschaft München gemobbt, gegängelt und gesteuert wurde.
Damit widerspricht er eklatant der Darstellung von Dr. Christoph Strötz von der Generalstaatsanwaltschaft München vor dem Verfassungsausschuss am 22.05.2014 und der Beantwortung einer Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2010 durch die damalige Justizministerin Beate Merk. Beide Male wurde behauptet, dass die Generalstaatsanwaltschaft München keinerlei Weisungen an die sachleitenden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegeben habe. Schriftliche Weisungen gab es wohl tatsächlich nicht, aber Harz zählt acht mündliche Anweisungen auf, denen er Folge zu leisten hatte. Selbst in die Absprache im Fall Staatsanwalt H. sei die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) eingebunden gewesen, das stellte Richterin Brigitte Schroeder, die damalige Vorgesetzte von Andreas Harz, bei ihrer Einvernahme am Tag darauf klar.

Der Fall Schottdorf: Abertausende Ärzte als Abrechnungsbetrüger verdächtig
Begonnen hatten die Verfahren rund um das Labor „Schottdorf“ mit einem Bestechungsverdacht gegen einen Augsburger Staatsanwalt. Dieser Fall war so brisant, dass er eine Berichtspflicht an die GenStA auslöste. Auch als dieser Fall abgeschlossen war, musste nicht nur weiterhin stetig an die GenStA berichtet werden, Harz als sachleitender Staatsanwalt musste auch des Öfteren persönlich zu Gesprächen mit der GenStA, um den Fall zu diskutieren. Im Zuge des Verfahrens gegen den Augsburger Staatsanwalt wurden zwei Fälle des Abrechnungsbetruges bei Speziallaborleistungen im Zusammenhang mit dem Labor Schottdorf wieder aufgerollt, die eben dieser Staatsanwalt eingestellt hatte. Es musste geklärt werden, ob die Einstellungen rechtmäßig gewesen waren oder ob sie in direktem Zusammenhang mit einem Darlehen, das Bernd Schottdorf dem Staatsanwalt einige Jahre zuvor gewährt hatte, standen.
Schnell weitete sich der Verdacht des Abrechnungsbetruges bei Speziallaborleistungen gegen etwa 10 000 Ärztinnen und Ärzte bundesweit aus. In Bayern waren es ca. 3000. Deshalb wurde, um die Arbeit halbwegs bewältigen zu können, ein Schwellenwert von 2500 Euro festgelegt, ab dem eine strafrechtliche Verfolgung stattfinden sollte. Außerdem wollte man die außerbayerischen Verfahren über die Generalstaatsanwaltschaften an die örtlich zuständigen Behörden abgeben. Danach blieben noch ungefähr 500 bayerische Fälle, die Harz als sachleitender Staatsanwalt bearbeitete.

Weichenstellung durch die GenStA: Mit Karacho an die Wand
Als erster Schritt sollten einige Münchner Ärztinnen und Ärzte angeklagt, der Rest auf dem „Büroweg“ abgearbeitet werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Wegen eklatant auseinander gehenden Rechtsmeinungen zwischen Staatsanwaltschaft München I und Generalstaatsanwaltschaft München, entschied man sich, zunächst nur ein Pilotverfahren durchzuführen. Während Harz und auch seine Vorgesetzte Brigitte Schroeder von der Strafbarkeit wegen Betruges überzeugt waren und sich dabei u.a. auf ein umfangreiches Verfahren aus Limburg an der Lahn und ein Urteil des Landgerichtes Regensburg stützen konnten, war die Generalstaatsanwaltschaft anderer Meinung. Deren juristische Begründung war allerdings eher mager. Größer war sicher die Angst vor der mächtigen Ärztelobby. Denn im Sommer des Wahljahres 2008 gab es in Bayern bereits einen erbitterten Streit mit dem Hausärzteverband, der die CSU ohnehin schon mächtig unter Druck setzte. Verfahren gegen hunderte oder gar tausende Ärzte wären da mehr als ungelegen gekommen.

„Breitseite von Weisungen“
Als für Korruption zuständiger Staatsanwalt war Harz aber nicht bereit, Betrügereien einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Daher wurde er von der GenStA immer wieder in fruchtlose Diskussionen verstrickt. Schließlich hat die GenStA das Verfahren zunehmend durch Anweisungen eingeengt und ihm scheibchenweise entzogen.
Ende 2007 hatte man sich geeinigt, zur Klärung der Rechtsfragen zunächst ein Pilotverfahren durchzuführen. Danach wurde Harz angewiesen, keine neuen Durchsuchungen mehr zu machen. Bei den durchsuchten Ärztinnen und Ärzten hätten diese verjährungsunterbrechend gewirkt. Damit die Ärztinnen und Ärzte, die zunächst zurückgestellt wurden, nicht straflos davonkommen würden, wenn das Pilotverfahren erfolgreich wäre, wollte Harz zur Verjährungsunterbrechung  zumindest Serienbriefe verschicken. Auch das wurde ihm von der GenStA untersagt, weil man die Ärztinnen und Ärzte nicht unnötig belasten und möglicherweise Unschuldige nicht grundlos verdächtigen wollte. Völlig unberücksichtigt blieb bei dieser Argumentation, dass die betreffenden Mediziner auf jeden Fall gesetzwidrig abgerechnet und gegen Berufsrecht verstoßen hatten. Dieser Brief wäre wohl auch Warnung genug gewesen, künftig regelkonform abzurechnen.
Im Frühjahr 2008 wurde das sogenannte Konzernverfahren abgespaltet und nach Augsburg abgegeben. Auch diese Entscheidung ging auf die GenStA zurück.
Bei einer fragwürdigen „Laborbesichtigung“ durch die Staatsanwaltschaft München I, zu der die Schottdorfs über ihre Anwälte eingeladen hatten, verplapperte sich Frau Schottdorf: Sie erzählte nebenbei, dass das Labor Schottdorf nuklearmedizinische Laborleistungen bei einem anderen Speziallabor einkauft und dann mutmaßlich als eigene Leistung weiterverkaufen würde. Das wäre eine weitere Betrugsvariante gewesen. Um diesem Verdacht eigenständig nachzugehen, erwirkte Harz im Frühsommer 2008 einen entsprechenden Durchsuchungsbeschluss. Doch das LKA wollte seiner Aufforderung die Durchsuchung endlich durchzuführen, aus Personalnot zunächst nicht nachkommen. Als er sich endlich durchgesetzt hatte, alles bereit und sieben Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Durchsuchung eingeplant waren, teilte ihm seine Chefin Brigitte Schroeder mit, dass die GenStA die Teilnahme der Staatsanwaltschaft verboten hatte. Dies wollte Harz nicht akzeptieren; er verlangte eine schriftliche Weisung, um dagegen offiziell remonstrieren zu können. Aber statt ihm eine Weisung zu erteilen, hat ihm die GenStA im Herbst 2008 alle noch verbliebenen Fälle – bis auf das Pilotverfahren und den schon fast abgeschlossenen Fall einer Münchner Ärztin – entzogen und nach Augsburg abgegeben. Auch die bereits weit ausermittelten Münchner Fälle gingen nach Augsburg, obwohl hier die originäre Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft München I lag.
Harz beschreibt die Einmischungen der GenStA „als Breitseite von Weisungen“, die er so noch nicht erlebt habe. Im Laufe des Verfahrens sei deshalb sein Gefühl gewachsen, dass die weitere Bearbeitung durch ihn von der Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr gewünscht sei. Schließlich wurde ihm im November 2008 seitens der Generalstaatsanwaltschaft sogar nahegelegt, sich am Oberlandesgericht zu bewerben. Dieser spürbare  Vertrauensverlust führte dazu, dass Harz der Aufforderung freiwillig nachkam, obwohl er sich selbst erst ein halbes Jahr später hätte bewerben wollen. Das Verfahren rund um das Labor Schottdorf empfindet Harz im Rückblick als gescheitert: „Wir sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger geendet.“ Letztendlich wurde nur ein Arzt verurteilt, 11 Fälle wurden gegen Geldauflage eingestellt und ca. 9990 sind davongekommen.

Der Tritt ins Knie
Während seiner Zeugenaussage versuchte Harz immer wieder gute Gründe für die einzelnen Entscheidungen der GenStA zu finden und betonte, dass er sie größtenteils für „vertretbar“ hielt. Auch wenn er jeweils anders gehandelt hätte – und letztendlich Recht behielt.
Entsetzt dagegen war Harz von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Augsburg, alle Verfahren einfach in einem Aufwasch einzustellen. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er hatte auch dem Gerücht, dass alles eingestellt wird, wenn das Verfahren nach Augsburg geht, nie Glauben geschenkt. Insbesondere die Einstellung der Tatvariante „M III in LG“, die Erbringung von Speziallaborleistungen in Laborgemeinschaften, bezeichnet er als „rechtswidrig“ und „unvertretbar“.
Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft Augsburg damals sei auch ein unfreundlicher Akt („ein Tritt ins Knie“) gegenüber ihm und der Staatsanwaltschaft München I gewesen. Schließlich hatten sie gerade die Anklageschrift gegen den „Pilotarzt“ A. bei Gericht eingereicht, in der ausgeführt wurde, weshalb die Abrechnungsmethode im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen rechtswidrig war. Ausgerechnet in dem Moment stellte eine Staatsanwaltschaft aus demselben Bezirk ca. 150 nahezu identische Verfahren mangels Strafbarkeit ein. Auch dafür muss die Generalstaatsanwaltschaft München die Hauptverantwortung tragen. Denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, in ihrem Bezirk für gleichwertige Rechtsverhältnisse zu sorgen. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass sie die Verfahren tatsächlich mit dem Ziel nach Augsburg gegeben hat, um sie dort einstellen zu lassen.

Auf der Suche nach der „politischen Einflussnahme“
Man liest es immer wieder: Zeuginnen und Zeugen sagen im Untersuchungsausschuss aus, dass auf sie persönlich kein politischer Einfluss ausgeübt wurde. Gab es also keinen? Selbstverständlich gab es ihn. Aber auf anderen, wesentlich höheren Ebenen – und auf wesentlich subtilere Art, als sich das viele vorstellen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat, das ist nach den jüngsten Befragungen klar, im Fall Schottdorf massiven politischen, weil insistierenden, nicht sachgerechten und die Eigenständigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaft aushebelnden Druck ausgeübt. Das hat dazu geführt, dass die gut begründeten Vorhaben der zunächst zuständigen Staatsanwaltschaft in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Die GenStA ist als politisch besetzte Einrichtung das Zwischenglied zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaft und kann auch als verlängerter Arm des Ministeriums bezeichnet werden. Deshalb muss die Suche nach der politischen Einflussnahme nun eine Stufe weiter oben ansetzen.
Ungewöhnlich für normal Sterbliche ist auf jeden Fall: Der Verteidiger der Schottdorfs, der Ex-Minister und führende CSU-Politiker Gauweiler, fand stets ein offenes Ohr bei Staatsanwälten und Generalstaatsanwaltschaft. Das ist offenbar ein Privileg, das man kaufen kann. Voraussetzung ist, dass man sich als Beschuldigter Ex-Minister leisten kann. Wenn Gauweiler einmal nicht empfangen wurde, habe sich sofort das Justizministerium als Türöffner eingeschaltet.
Nachdem die „SoKo Labor“ im Sommer 2008 einen Brief an den Verband der privaten Krankenversicherungen herausgeschickt hatte, der über den Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen informierte, drohte Schottdorf durch seinen Anwalt Gauweiler mit Schadensersatzforderungen gegen den bayerischen Staat. Harz hatte in nachfolgenden Gesprächen mit der GenStA das Gefühl, dass die Intervention Gauweilers für großen Wirbel sorgte. Diese Intervention, vermutet Harz, sei der maßgebliche Grund gewesen für die danach geänderte Verfahrensführung, insbesondere für die Absage der geplanten Durchsuchungen und die Abgabe der Verfahren nach Augsburg. Alle bisherigen Erkenntnisse stützen seine Vermutung.
Politischen Einfluss zu beweisen, ist äußerst schwierig. Denn er setzt ja gerade darauf, nicht ertappt zu werden und sich hinter „vertretbaren“ Entscheidungen zu verstecken. Und schriftlich wird natürlich ohnehin nichts festgehalten. Mündliche Weisungen zu offenbaren, braucht es für die Angewiesenen Mut und Selbstvertrauen – wie zu unser aller Glück eben der ehemalige Korruptionsstaatsanwalt Harz wieder gezeigt hat. Insbesondere in Bayern gibt es, nicht zuletzt aufgrund der seit Jahrzehnten fehlenden Regierungswechsel, zusätzlich noch das Problem des „vorausstolpernden Gehorsams“, wie es der ehemalige bayerische Minister Sinner einmal nannte. Man weiß „unten“ schon, was „die Oberen“ wünschen und vor allem, was sie auf keinen Fall wünschen – und handelt entsprechend.

5 thoughts on “Der Schlüsselzeuge: Massive Eingriffe der Generalstaatsanwaltschaft

  1. und die Rolle des neuen GBA, Dr. Peter Frank rückt in Reichweite. Komisch nur, dass Beteiligte keine Bedenken äußern.

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