Nach den staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeitern der Staatsanwaltschaft Augsburg, waren nun der damalige Leiter der Wirtschaftsabteilung Thomas Weith, der ehemalige Augsburger Behördenleiter Reinhard Nemetz und Renate Wimmer, die damals bei der Generalstaatsanwaltschaft München zuständig war, an der Reihe: Alle versicherten dem Untersuchungsausschuss, dass das Ergebnis der sogenannten Laboraffäre „unvermeidlich” gewesen wäre. In Augsburg sei man halt der Ansicht gewesen, dass die in Frage stehende Abrechungsmethode von Speziallaborleistungen nicht strafbar sei, deshalb konnte und durfte man nichts tun. Aufgrund des sogenannten Legalitätsprinzips darf eine Staatsanwaltschaft nur Taten verfolgen von deren Strafbarkeit sie überzeugt ist. Ist sie dies nicht, muss sie nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen. Dann darf sie auch keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen mehr ergreifen. Was auf den ersten Blick durchaus plausibel klingt, hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Denn zum einen richtet sich dann sofort der Blick auf die Generalstaatsanwaltschaft, die in der zweiten Jahreshälfte 2008 die Ermittlungen gegen Schottdorf und die betrügerischen Ärzte bewusst auf das Gleis in Richtung Sackgasse Augsburg gesetzt hat. Und zum anderen haben die Augsburger Staatsanwälte so lange starrsinnig an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, bis sie kaum noch einen Fall verfolgen mussten.
Fragwürdiger Verzicht auf Aktenstudium
Nicht zuletzt aber hat sich die Staatsanwaltschaft Augsburg zudem eine Reihe von Fehlern zuschulden kommen lassen, die sich nicht damit rechtfertigen lassen, man habe ja nur eine bis heute für richtig befundene Rechtsmeinung umgesetzt. Unterhalb dieser Argumentation, mit der pauschal alle Einwendungen gegen die radikale Einstellung der jahrelangen Ermittlungen weggewischt werden, wird eine Reihe von Ungereimtheiten sichtbar.
So wäre beispielswiese ein intensives Aktenstudium durchaus angebracht gewesen – auch wenn seitens der Staatsanwaltschaft Augsburg die Meinung vertreten wird, man bräuchte keine Akten zu lesen, um sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Denn dann hätten sich auch neue Ermittlungsansätze ergeben, die dazu beigetragen hätten, Falschabrechnungen als Betrug zu qualifizieren. Beispielsweise wurde nie ausermittelt, ob es sich beim Bezug von M-III-Laborleistungen aus Laborgemeinschaften nicht tatsächlich um eine Schlechterleistung handelte, die einen ganz realen Betrugsschaden verursacht hätte. In einer Laborgemeinschaft ist üblicherweise nur medizinisches Fachpersonal anwesend, aber keine Ärztin oder Arzt, die oder der Speziallaborleistungen nach seiner fachlichen Qualifikation erbringen darf. Die Frage ist also, ob eine so erbrachte M-III-Leistung mit der in einem Speziallabor erbrachten gleichzusetzen ist. Hierüber machte man sich in Augsburg allerdings keine Gedanken und warf einfach alles in einen Topf mit dem Abrechnungsbetrug M III/ M IV.
Genauso wenig wurde je geklärt, ob die Firma Schottdorf tatsächlich auch mit dem erhöhten Faktor von 1,15 hätte abrechnen dürfen, der den Patienten von den betrügerischen Ärzten in Rechnung gestellt wurde. Auch zum Betrugsvorsatz sowohl der Ärzte wie des Labors Schottdorf hätten sich in den Akten Hinweise gefunden.
Überstrapazieren des Anklagemonopols
In ihrer Meinungsfindung ist eine Staatsanwaltschaft nicht gänzlich frei. So ist beispielsweise höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich zu beachten. Diese lag im Fall „Schottdorf“ nicht vor. Aber es war jederzeit klar, dass andere, mindestens genauso qualifizierte Staatsanwältinnen und Richter sich in ihrem Handeln von der klaren Rechtsauffassung leiten ließen, dass es sich um Betrug handelte. Selbst wenn man davon ausgeht, dass zum Zeitpunkt der Einstellung der Verfahren im Januar 2009, die Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft Augsburg gerade noch so vertretbar war, hätten sie spätestens mit der Entscheidung des Landgerichtes München im Jahr 2010 umdenken müssen. Denn dann lag auch ein inhaltlich fundiertes Urteil vor, das sich mit den aufgeworfenen Rechtsfragen auseinandersetzte. Ab dann konnte es nicht mehr auf die Einzelmeinung einer Staatsanwaltschaft ankommen, denn nach der „Kollegialgerichtsrichtlinie“, die durch ständige Rechtsprechung des BGH gesichert ist, kann von einem Beamten eine bessere Rechtseinsicht als von einem Kollegialgericht nicht erwartet oder verlangt werden. Es ist in diesem Zusammenhang also völlig irrelevant, ob den Augsburgern die Entscheidung „geschmeckt“ hat. Statt nun die Ermittlungen wieder aufzunehmen, wurde aber nur weiter nach Gründen gesucht, Schottdorf und viele andere Ärztinnen und Ärzte nicht wegen Betruges anklagen zu müssen.
Chancen zur Wiedergutmachung verpasst
Auch nach dem BGH-Urteil im Jahr 2012, das die Staatsanwaltschaft Augsburg zur Wiederaufnahme zwang, ließen sie die Chance zu einer ernsthaften Wiedergutmachung ungenutzt verstreichen. So hätte man die bereits auffällig gewordenen Ärztinnen und Ärzte, deren ermittelte Taten bereits verjährt waren, abermals durchsuchen können, um nicht verjährte Abrechnungsdaten abzugreifen. Es gab in den Akten mehrere Hinweise darauf, dass die umstrittene Abrechnungsmethode bis 2012 oder sogar darüber hinaus weiter so betrieben wurde. Auch die Straftaten der noch nicht verjährten Ärztinnen und Ärzte brachte man nicht zur Anklage, sondern stellte sie nach § 153 a StPO gegen Geldauflage ein.
Statt die Ärztinnen und Ärzte jetzt dafür zur Rechenschaft zu ziehen, berücksichtigte man die angeblich herrschende Rechtsunsicherheit zu ihren Gunsten. Letztendlich wurde in Richtung eines Verbotsirrtums argumentiert. Dieser kann unter Umständen von der Schuld befreien. Die Ärztinnen und Ärzte, die im Januar 2009 einen Einstellungsbescheid gem. § 170Abs. 2 StPO erhalten hatten, könnten sich darauf berufen, dass ihr Verhalten nicht als strafbar angesehen wurde. Der Verbotsirrtum muss aber unvermeidbar gewesen sein. Dagegen spricht, dass eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO grundsätzlich nur vorläufig ist und das Ermittlungsverfahren jederzeit wiederaufgenommen werden kann, wenn dazu Anlass besteht (Meyer- Goßner/ Kommentar StPO/ § 170/ Rn. 9). Eine umfassende Sicherheit gibt eine solche Einstellung also nicht.
Zudem kann ein Verbotsirrtum zwar relevant sein, wenn die Täterin oder der Täter Kenntnis davon hatte, dass die Rechtsfrage umstritten ist, aber nur dann, wenn sie oder er nicht lediglich hofft, dass das bekannte Strafgesetz für sie oder ihn nicht greift (Fischer/ Kommentar StGB/ § 17/ Rn. 9 c). Im konkreten Fall mussten sich die betroffenen Ärztinnen und Ärzte darüber im Klaren sein, basierend auf Artikeln in diversen Ärztezeitschriften, dass erstens bereits mehrere andere Staatsanwaltschaften und Gerichte die Rechtsfrage anders beurteilt hatten und zweitens, dass in München ein Pilotverfahren lief, das eine Entscheidung des BGH nicht unwahrscheinlich machte. Hier war die Annahme eines Verbotsirrtums aus rechtlicher Sicht offensichtlich nur vorgeschoben. Folgerichtig spielte das viel zitierte „Problem der Subjektivität“ für den BGH in seinem Urteil gegen den „Pilotarzt A.“ überhaupt keine Rolle. Augsburg, Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium aber nutzten dieses „Argument“, um Tausende von Ärzten trotz obergerichtlicher Rechtsprechung laufen zu lassen.
Angst vor Schottdorf
In Augsburg schrillten, nach Angaben der Zeugen Weith und Nemetz, regelmäßig die Alarmglocken, wenn der Name Schottdorf fiel. Bereits mehrmals war man mit Ermittlungen auf die Nase gefallen. Nach einem Freispruch Ende der 90er Jahre konnte Schottdorf sogar eine hohe Entschädigungszahlung gegen den Freistaat Bayern geltend machen. Nemetz bezeichnet Schottdorf als „Gratwanderer“, der aus wirtschaftlichen Gründen stets bemüht sei die rechtlichen Möglichkeiten bis zum Letzten auszunutzen und sich im Falle einer mutmaßlichen „Grenzüberschreitung“ bester Berater bediene, die das Gegenteil beweisen sollen. Es ist also nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg sich künftig keine Schwäche mehr bei Anklagen gegen ihn erlauben wollte. Statt aber im sogenannten „Konzernverfahren“ deshalb besonders gründlich zu ermitteln, um das Ganze hieb- und stichfest zu machen, versuchte man bereits in einem frühen Stadium im Sommer 2009 das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen. Die Ermittlungen hatten bis dahin ergeben, dass die Schottdorfs sich durch die mutmaßliche Einrichtung von nicht selbstständig arbeitenden Außenlaboren um ungefähr 18 Millionen Euro bereichert haben sollen. Die Verteidiger Schottdorfs, unter ihnen auch der ehemalige Vizevorsitzende der CSU Peter Gauweiler, einigten sich mit hochrangigen Mitgliedern der Augsburger Staatsanwaltschaft, inklusive Behördenleiter Nemetz, auf eine Geldauflage in Höhe von 3 Millionen Euro. Diese Summe bezeichnete das Landgericht Augsburg als „lächerlich“ und stimmte deshalb dem Vergleich nicht zu. Nun läuft dieser Prozess endlich in Augsburg.
Ein Umstand der zur besonderen Vorsicht der Staatsanwaltschaft Augsburg beiträgt, ist, dass sich Schottdorfs stets hochrangiger Verteidigerteams bedienen. Sie fahren schwere Geschütze auf, treten stets zu mehreren auf und lassen u.a. Gutachten von renommierten Universitätsprofessoren erstellen, die ihre Verteidigungslinie stützen. Deshalb sah sich der Behördenleiter veranlasst, bei Gesprächen mit den Verteidigern seine Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht allein zu lassen. Auf unsere Frage, ob eine Normalbürgerin oder ein Normalbürger, der sich ein solches Team nicht leisten kann, genauso behandelt werde, antwortete Nemetz entlarvend: „Die Dummen tun sich immer schwerer in der Gesellschaft.“
Durchsuchungsbeschluss ignoriert
In vorauseilender Vorsicht werden Schottdorf gerne Umstände zugutegehalten, die einer näheren Überprüfung nicht standhalten. Nach dem BGH-Urteil Im Jahr 2012 wurde auch das Verfahren gegen die Schottdorfs wegen Beihilfe zum Betrug im Zusammenhang mit der Abrechnung von Speziallaborleistungen wiederaufgenommen. Doch in Absprache mit dem Justizministerium wurde es im Hinblick auf das „Konzernverfahren“ gleich wieder nach § 154 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt. Man erwartete in diesem Verfahren eine höhere Strafe, so dass der M III/M IV-Betrug nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würde. Das war aber nicht der einzige Grund. Denn im Jahr 1998 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg schon einmal gegen Schottdorf ermittelt, und zwar ebenfalls wegen Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen. Damals ging man seitens der Staatsanwaltschaft Augsburg noch von der Strafbarkeit dieses Verhaltens aus. Es wurde ein Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Augsburg beantragt, der aber abgelehnt wurde. Das Gericht sah nämlich, ganz wie die Augsburger Staatsanwaltschaft später, keinen Schaden und damit keinen Betrug. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren daraufhin gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels Strafbarkeit ein. Damals, als es um die Einstellung ging, reichte der Staatsanwaltschaft Augsburg offensichtlich die Meinung eines Amtsgerichtes, während sie später nicht einmal die Entscheidung eines Landgerichtes zum Handeln veranlassen konnte (s.o.). Dieser Umstand, dass das Verfahren wegen Abrechnungsbetruges 1998 eingestellt wurde, wurde 2012 Schottdorf bei der Einstellung nach § 154 StPO wieder zugutegehalten. Man fürchtete, dass Schottdorf diesen Einstellungsbescheid noch in seinen Unterlagen haben und zu seiner Verteidigung nutzen könnte: Er hätte im Sinne eines Verbotsirrtums (s.o.) argumentieren können, nämlich dass er danach davon ausgehen konnte, sein Handeln sei nicht strafbar.
Diese Akten aus dem Jahr 1998 waren 2012 bereits vernichtet. Nicht gesucht wurde allerdings nach Unterlagen aus einem Verfahren, dass noch nicht so lange zurücklag. Bereits 2004 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg wieder einen Durchsuchungsbeschluss gegen das Labor Schottdorf beantragt, das Amtsgericht Augsburg hatte diesen diesmal genehmigt. Es ging abermals um die Abrechnung von Speziallaborleistungen. Das Verfahren gegen Schottdorf basierte auf den zahlreichen Verfahren in Limburg an der Lahn. Das Amtsgericht Augsburg war offensichtlich von der Argumentation aus Hessen überzeugt und änderte seine noch 1998 vertretende Meinung. Doch der später wegen Vorteilsannahme zusammen mit Schottdorf verurteilte Staatsanwalt Huchel führte die Durchsuchung nicht durch, nachdem er sich mit einem Verteidiger Schottdorfs besprochen hatte. Schottdorf war die Meinungsänderung des Gerichts also bekannt. Er hätte sich seit 2004 nicht mehr darauf berufen können, dass ein Gericht 1998 dieses Handeln als nicht strafbar eingestuft hat.
Mobbing durch die Generalstaatsanwaltschaft
Die Zeugenbefragungen dieser Woche erhärteten den Hauptwurf, dass Bayerns Justizministerium die Ermittlungen sehenden Auges ins Leere laufen ließ. Sowohl die Augsburger als auch Wimmer von der Generalstaatsanwaltschaft München beschreiben die Abgabe nach Augsburg als „zwingend“. Sie sehen das Labor Schottdorf im Zentrum der Ermittlungen, da es letztendlich die betreffende Abrechnungsmodalität zur Verfügung stellte. Im Wirtschaftsstrafrecht sei es allgemeiner Konsens, dass in so einem Fall die Staatsanwaltschaft zuständig sei, an deren Ort sich der Firmensitz befinde. Argumente, die sich zunächst gut anhören. Dabei bleibt aber völlig unverständlich, warum man diese Argumente so spät fand, also der extrem späte Zeitpunkt der Abgabe.
Insbesondere bei der Befragung von Wimmer erhärtete sich der Eindruck, dass die Generalstaatsanwaltschaft vor allem ein Problem mit dem „Ermittlungseifer“ des Münchner Staatsanwaltes Harz hatte. Sie bremste und steuerte, wo sie konnte. Als das nicht zum gewünschten Erfolg führte, schreckte man nicht einmal davor zurück, Harz zum „Rapport“ bei der Generalstaatsanwaltschaft einzubestellen – ohne seine Vorgesetzten zu informieren. Ein absolut ungewöhnlicher Vorgang, wie auch Wimmer zugeben musste. Sie stellt es so dar, dass man mal hören wollte, weshalb sich das Verfahren so lange hinzog. Unterstützen, im Sinne von Hilfe zur Verfügung stellen, hätte sie ihn aber nicht können. Das kann nur der Behördenleiter, doch den hatte die Generalstaatsanwaltschaft ja gerade außenvorgehalten. Es ging also nur darum, Druck auf Harz auszuüben, und zwar ohne jede Handlungskompetenz seitens der Generalstaatsanwaltschaft, von oben nach unten. Das nennt man landläufig auch Mobbing.
Die Generalstaatsanwaltschaft übte massiven Druck auf den sachleitenden Münchner Staatsanwalt aus und machte intensiv von ihrem Steuerungs- und Weisungsrecht Gebrauch, wobei sie auf schriftliche Weisungen verzichtete. Bei der Staatsanwaltschaft Augsburg aber wollte man dann nicht mehr eingreifen und für Rechtseinheit im Bezirk sorgen, obwohl dies eine der Kernaufgaben der Generalstaatsanwaltschaft ist. Deshalb trägt die Generalstaatsanwaltschaft die Verantwortung dafür, dass das Pilotverfahren an die Wand fuhr, weil sie in ihrer Zuständigkeit einen Arzt bis zum höchsten Gericht verklagte, aber Tausende, die sich dieselben Verfehlungen hatten zuschulden kommen lassen, laufen ließ. Damit werden wir die Herren Nötzel und Strötz bei den kommenden Befragungen konfrontieren.