Monthly Archives: October 2015

„Grenzgänger“ bei der Staatsanwaltschaft Augsburg

Nach den staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeitern der Staatsanwaltschaft Augsburg, waren nun der damalige Leiter der Wirtschaftsabteilung Thomas Weith, der ehemalige Augsburger  Behördenleiter Reinhard Nemetz und Renate Wimmer, die damals bei der Generalstaatsanwaltschaft München zuständig war, an der Reihe: Alle versicherten dem Untersuchungsausschuss, dass das Ergebnis der sogenannten Laboraffäre „unvermeidlich” gewesen wäre. In Augsburg sei man halt der Ansicht gewesen, dass die in Frage stehende Abrechungsmethode von Speziallaborleistungen nicht strafbar sei, deshalb konnte und durfte man nichts tun. Aufgrund des sogenannten Legalitätsprinzips darf eine Staatsanwaltschaft nur Taten verfolgen von deren Strafbarkeit sie überzeugt ist. Ist sie dies nicht, muss sie nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen. Dann darf sie auch keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen mehr ergreifen. Was auf den ersten Blick durchaus plausibel klingt, hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Denn zum einen richtet sich dann sofort der Blick auf die Generalstaatsanwaltschaft, die in der zweiten Jahreshälfte 2008 die Ermittlungen gegen Schottdorf und die betrügerischen Ärzte bewusst auf das Gleis in Richtung Sackgasse Augsburg gesetzt hat. Und zum anderen haben die Augsburger Staatsanwälte so lange starrsinnig an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, bis sie kaum noch einen Fall verfolgen mussten.

Fragwürdiger Verzicht auf Aktenstudium
Nicht zuletzt aber hat sich die Staatsanwaltschaft Augsburg zudem eine Reihe von Fehlern zuschulden kommen lassen, die sich nicht damit rechtfertigen lassen, man habe ja nur eine bis heute für richtig befundene Rechtsmeinung umgesetzt. Unterhalb dieser Argumentation, mit der pauschal alle Einwendungen gegen die radikale Einstellung der jahrelangen Ermittlungen weggewischt werden, wird eine Reihe von Ungereimtheiten sichtbar.
So wäre beispielswiese ein intensives Aktenstudium durchaus angebracht gewesen –  auch wenn seitens der Staatsanwaltschaft Augsburg die Meinung vertreten wird, man bräuchte keine Akten zu lesen, um sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Denn dann hätten sich auch neue Ermittlungsansätze ergeben, die dazu beigetragen hätten, Falschabrechnungen als Betrug zu qualifizieren. Beispielsweise wurde nie ausermittelt, ob es sich beim Bezug von M-III-Laborleistungen aus Laborgemeinschaften nicht tatsächlich um eine Schlechterleistung handelte, die einen ganz realen Betrugsschaden verursacht hätte. In einer Laborgemeinschaft ist üblicherweise nur medizinisches Fachpersonal anwesend, aber keine Ärztin oder Arzt, die oder der Speziallaborleistungen nach seiner fachlichen Qualifikation erbringen darf. Die Frage ist also, ob eine so erbrachte M-III-Leistung mit der in einem Speziallabor erbrachten gleichzusetzen ist. Hierüber machte man sich in Augsburg allerdings keine Gedanken und warf einfach alles in einen Topf mit dem Abrechnungsbetrug M III/ M IV.
Genauso wenig wurde je geklärt, ob die Firma Schottdorf tatsächlich auch mit dem erhöhten Faktor von 1,15 hätte abrechnen dürfen, der den Patienten von den betrügerischen Ärzten in Rechnung gestellt wurde. Auch zum Betrugsvorsatz sowohl der Ärzte wie des Labors Schottdorf hätten sich in den Akten Hinweise gefunden.

Überstrapazieren des Anklagemonopols
In ihrer Meinungsfindung ist eine Staatsanwaltschaft nicht gänzlich frei. So ist beispielsweise höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich zu beachten. Diese lag im Fall „Schottdorf“ nicht vor. Aber es war jederzeit klar, dass andere, mindestens genauso qualifizierte Staatsanwältinnen und Richter sich in ihrem Handeln von der klaren Rechtsauffassung leiten ließen, dass es sich um Betrug handelte. Selbst wenn man davon ausgeht, dass zum Zeitpunkt der Einstellung der Verfahren im Januar 2009, die Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft Augsburg gerade noch so vertretbar war, hätten sie spätestens mit der Entscheidung des Landgerichtes München im Jahr 2010 umdenken müssen. Denn dann lag auch ein inhaltlich fundiertes Urteil vor, das sich mit den aufgeworfenen Rechtsfragen auseinandersetzte. Ab dann konnte es nicht mehr auf die Einzelmeinung einer Staatsanwaltschaft ankommen, denn nach der „Kollegialgerichtsrichtlinie“, die durch ständige Rechtsprechung des BGH gesichert ist, kann von einem Beamten eine bessere Rechtseinsicht als von einem Kollegialgericht nicht erwartet oder verlangt werden. Es ist in diesem Zusammenhang also völlig irrelevant, ob den Augsburgern die Entscheidung „geschmeckt“ hat. Statt nun die Ermittlungen wieder aufzunehmen, wurde aber nur weiter nach Gründen gesucht, Schottdorf und viele andere Ärztinnen und Ärzte nicht wegen Betruges anklagen zu müssen.

Chancen zur Wiedergutmachung verpasst
Auch nach dem BGH-Urteil im Jahr 2012, das die Staatsanwaltschaft Augsburg zur Wiederaufnahme zwang, ließen sie die Chance zu einer ernsthaften Wiedergutmachung ungenutzt verstreichen. So hätte man die bereits auffällig gewordenen Ärztinnen und Ärzte, deren ermittelte Taten bereits verjährt waren, abermals durchsuchen können, um nicht verjährte Abrechnungsdaten abzugreifen. Es gab in den Akten mehrere Hinweise darauf, dass die umstrittene Abrechnungsmethode bis 2012 oder sogar darüber hinaus weiter so betrieben wurde. Auch die Straftaten der noch nicht verjährten Ärztinnen und Ärzte brachte man nicht zur Anklage, sondern stellte sie nach § 153 a StPO gegen Geldauflage ein.
Statt die Ärztinnen und Ärzte jetzt dafür zur  Rechenschaft  zu ziehen, berücksichtigte man die angeblich herrschende Rechtsunsicherheit zu ihren Gunsten. Letztendlich wurde in Richtung eines Verbotsirrtums argumentiert. Dieser kann unter Umständen von der Schuld befreien. Die Ärztinnen und Ärzte, die im Januar 2009 einen Einstellungsbescheid gem. § 170Abs. 2 StPO erhalten hatten, könnten sich darauf berufen, dass ihr Verhalten nicht als strafbar angesehen wurde. Der Verbotsirrtum muss aber unvermeidbar gewesen sein. Dagegen spricht, dass eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO grundsätzlich nur vorläufig ist und das Ermittlungsverfahren jederzeit wiederaufgenommen werden kann, wenn dazu Anlass besteht (Meyer- Goßner/ Kommentar StPO/ § 170/ Rn. 9). Eine umfassende Sicherheit gibt eine solche Einstellung also nicht.
Zudem kann ein Verbotsirrtum zwar relevant sein, wenn die Täterin oder der Täter Kenntnis davon hatte, dass die Rechtsfrage umstritten ist, aber nur dann, wenn sie oder er nicht lediglich hofft, dass das bekannte Strafgesetz für sie oder ihn nicht greift (Fischer/ Kommentar StGB/ § 17/ Rn. 9 c). Im konkreten Fall mussten sich die betroffenen Ärztinnen und Ärzte darüber im Klaren sein, basierend auf Artikeln in diversen Ärztezeitschriften, dass erstens bereits mehrere andere Staatsanwaltschaften und Gerichte die Rechtsfrage anders beurteilt hatten und zweitens, dass in München ein Pilotverfahren lief, das eine Entscheidung des BGH nicht unwahrscheinlich machte. Hier war die Annahme eines Verbotsirrtums aus rechtlicher Sicht offensichtlich nur vorgeschoben. Folgerichtig spielte das viel zitierte „Problem der Subjektivität“ für den BGH in seinem Urteil gegen den „Pilotarzt A.“ überhaupt keine Rolle. Augsburg, Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium aber nutzten dieses „Argument“, um Tausende von Ärzten trotz obergerichtlicher Rechtsprechung laufen zu lassen.

Angst vor Schottdorf
In Augsburg schrillten, nach Angaben der Zeugen Weith und Nemetz, regelmäßig die Alarmglocken, wenn der Name Schottdorf fiel. Bereits mehrmals war man mit Ermittlungen auf die Nase gefallen. Nach einem Freispruch Ende der 90er Jahre konnte Schottdorf sogar eine hohe Entschädigungszahlung gegen den Freistaat Bayern geltend machen. Nemetz bezeichnet Schottdorf als „Gratwanderer“, der aus wirtschaftlichen Gründen stets bemüht sei die rechtlichen Möglichkeiten bis zum Letzten auszunutzen und sich im Falle einer mutmaßlichen „Grenzüberschreitung“  bester Berater bediene, die das Gegenteil beweisen sollen. Es ist also nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg sich künftig keine Schwäche mehr bei Anklagen gegen ihn erlauben wollte. Statt aber im sogenannten „Konzernverfahren“ deshalb besonders gründlich zu ermitteln, um das Ganze hieb- und stichfest zu machen, versuchte man bereits in einem frühen Stadium im Sommer 2009 das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen. Die Ermittlungen hatten bis dahin ergeben, dass die Schottdorfs sich durch die mutmaßliche Einrichtung von nicht selbstständig arbeitenden Außenlaboren um ungefähr 18 Millionen Euro bereichert haben sollen. Die Verteidiger Schottdorfs, unter ihnen auch der ehemalige Vizevorsitzende der CSU Peter Gauweiler, einigten sich mit hochrangigen Mitgliedern der Augsburger Staatsanwaltschaft, inklusive Behördenleiter Nemetz, auf eine Geldauflage in Höhe von 3 Millionen Euro. Diese Summe bezeichnete das Landgericht Augsburg als „lächerlich“ und stimmte deshalb dem Vergleich nicht zu. Nun läuft dieser Prozess endlich in Augsburg.
Ein Umstand der zur besonderen Vorsicht der Staatsanwaltschaft Augsburg beiträgt, ist, dass sich Schottdorfs stets hochrangiger Verteidigerteams bedienen. Sie fahren schwere Geschütze auf, treten stets zu mehreren auf und lassen u.a. Gutachten von renommierten Universitätsprofessoren erstellen, die ihre Verteidigungslinie stützen. Deshalb sah sich der Behördenleiter veranlasst, bei Gesprächen mit den Verteidigern seine Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht allein zu lassen. Auf unsere Frage, ob eine Normalbürgerin oder ein Normalbürger, der sich ein solches Team nicht leisten kann, genauso behandelt werde, antwortete Nemetz entlarvend: „Die Dummen tun sich immer schwerer in der Gesellschaft.“

Durchsuchungsbeschluss ignoriert
In vorauseilender Vorsicht werden Schottdorf gerne Umstände zugutegehalten, die einer näheren Überprüfung nicht standhalten. Nach dem BGH-Urteil Im Jahr 2012 wurde auch das Verfahren gegen die Schottdorfs wegen Beihilfe zum Betrug im Zusammenhang mit der Abrechnung von Speziallaborleistungen wiederaufgenommen. Doch in Absprache mit dem Justizministerium wurde es im Hinblick auf das „Konzernverfahren“ gleich wieder nach § 154 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt. Man erwartete in diesem Verfahren eine höhere Strafe, so dass der M III/M IV-Betrug nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würde. Das war aber nicht der einzige Grund. Denn im Jahr 1998 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg schon einmal gegen Schottdorf ermittelt, und zwar ebenfalls wegen Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen. Damals ging man seitens der Staatsanwaltschaft Augsburg noch von der Strafbarkeit dieses Verhaltens aus. Es wurde ein Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Augsburg beantragt, der aber abgelehnt wurde. Das Gericht sah nämlich, ganz wie die Augsburger Staatsanwaltschaft später, keinen Schaden und damit keinen Betrug. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren daraufhin gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels Strafbarkeit ein. Damals, als es um die Einstellung ging, reichte der Staatsanwaltschaft Augsburg offensichtlich die Meinung eines Amtsgerichtes, während sie später nicht einmal die Entscheidung eines Landgerichtes zum Handeln veranlassen konnte (s.o.). Dieser Umstand, dass das Verfahren wegen Abrechnungsbetruges 1998 eingestellt wurde, wurde 2012 Schottdorf bei der Einstellung nach § 154 StPO wieder zugutegehalten. Man fürchtete, dass Schottdorf diesen Einstellungsbescheid noch in seinen Unterlagen haben und zu seiner Verteidigung nutzen könnte: Er hätte im Sinne eines Verbotsirrtums (s.o.) argumentieren können, nämlich dass er danach davon ausgehen konnte, sein Handeln sei nicht strafbar.
Diese Akten aus dem Jahr 1998 waren 2012 bereits vernichtet. Nicht gesucht wurde allerdings nach Unterlagen aus einem Verfahren, dass noch nicht so lange zurücklag. Bereits 2004 hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg wieder einen Durchsuchungsbeschluss gegen das Labor Schottdorf beantragt, das Amtsgericht Augsburg  hatte diesen diesmal genehmigt. Es ging abermals um die Abrechnung von Speziallaborleistungen. Das Verfahren gegen Schottdorf basierte auf den zahlreichen Verfahren in Limburg an der Lahn. Das Amtsgericht Augsburg war offensichtlich von der Argumentation aus Hessen überzeugt und  änderte seine noch 1998 vertretende Meinung. Doch der später wegen Vorteilsannahme zusammen mit Schottdorf verurteilte Staatsanwalt Huchel führte die Durchsuchung nicht durch, nachdem er sich mit einem Verteidiger Schottdorfs besprochen hatte. Schottdorf war die Meinungsänderung des Gerichts also bekannt. Er hätte sich seit 2004 nicht mehr darauf berufen können, dass ein Gericht 1998 dieses Handeln als nicht strafbar eingestuft hat.

Mobbing durch die Generalstaatsanwaltschaft
Die Zeugenbefragungen dieser Woche erhärteten den Hauptwurf, dass Bayerns Justizministerium die Ermittlungen sehenden Auges ins Leere laufen ließ. Sowohl die Augsburger als auch Wimmer von der Generalstaatsanwaltschaft München beschreiben die Abgabe nach Augsburg als „zwingend“. Sie sehen das Labor Schottdorf im Zentrum der Ermittlungen, da es letztendlich die betreffende Abrechnungsmodalität zur Verfügung stellte. Im Wirtschaftsstrafrecht sei es allgemeiner Konsens, dass in so einem Fall die Staatsanwaltschaft zuständig sei, an deren Ort sich der Firmensitz befinde. Argumente, die sich zunächst gut anhören. Dabei bleibt aber völlig unverständlich, warum man diese Argumente so spät fand, also der extrem späte Zeitpunkt der Abgabe.
Insbesondere bei der Befragung von Wimmer erhärtete sich der Eindruck, dass die Generalstaatsanwaltschaft vor allem ein Problem mit dem „Ermittlungseifer“ des Münchner Staatsanwaltes Harz hatte. Sie bremste und steuerte, wo sie konnte. Als das nicht zum gewünschten Erfolg führte, schreckte man nicht einmal davor zurück, Harz zum „Rapport“ bei der Generalstaatsanwaltschaft einzubestellen – ohne seine Vorgesetzten zu informieren. Ein absolut ungewöhnlicher Vorgang, wie auch Wimmer zugeben musste. Sie stellt es so dar, dass man mal hören wollte, weshalb sich das Verfahren so lange hinzog. Unterstützen, im Sinne von Hilfe zur Verfügung stellen, hätte sie ihn aber nicht können. Das kann nur der Behördenleiter, doch den hatte die Generalstaatsanwaltschaft ja gerade außenvorgehalten. Es ging also nur darum, Druck auf Harz auszuüben, und zwar ohne jede Handlungskompetenz seitens der Generalstaatsanwaltschaft, von oben nach unten. Das nennt man landläufig auch Mobbing.
Die Generalstaatsanwaltschaft übte massiven Druck auf den sachleitenden Münchner Staatsanwalt aus und machte intensiv von ihrem Steuerungs- und Weisungsrecht Gebrauch, wobei sie auf schriftliche Weisungen verzichtete. Bei der Staatsanwaltschaft Augsburg aber wollte man dann nicht mehr eingreifen und für Rechtseinheit im Bezirk sorgen, obwohl dies eine der Kernaufgaben der Generalstaatsanwaltschaft ist. Deshalb trägt die Generalstaatsanwaltschaft die Verantwortung dafür, dass das Pilotverfahren an die Wand fuhr, weil sie in ihrer Zuständigkeit einen Arzt bis zum höchsten Gericht verklagte, aber Tausende, die sich dieselben Verfehlungen hatten zuschulden kommen lassen, laufen ließ. Damit werden wir die Herren Nötzel und Strötz bei den kommenden Befragungen konfrontieren.

Ankündigung 29. und 30. Sitzung des UA Labor

Am Montag, den 26.10.2015 ab 14 Uhr und am Dienstag, den 27.10.2015 ab 9 Uhr erwarten uns wieder spannende Aussagen im Untersuchungsausschuss “Labor”. Am Montag kommt der ehemalige Leiter der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Augsburg. Diese hatte letztendlich alle Verfahren im Zusammenhang mit Abrechnungsbetrug bei Speziallaborleistungen eingestellt. Außerdem muss zum ersten Mal ein ehemaliges Mitglied der Generalstaatsanwaltschaft München dazu Stellung nehmen, wie es sein konnte, dass zwei Staatsanwaltschaften im gleichen Bezirk in zwei völlig unterschiedliche Richtungen liefen.  Am Dienstag sagt Reinhard Nemetz, ehemaliger Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Augsburg, aus.

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Die Augsburger Staatsanwaltschaft als Erfüllungsgehilfin?

In der 28. Sitzung des Untersuchungsausschusses „Labor“ wurde die Rolle der Augsburger Staatsanwaltschaft in der sogenannten „Laboraffäre Schottdorf“ beleuchtet. Diese hatte von der Staatsanwaltschaft München I bis Dezember 2008 alle Fälle im Zusammenhang mit Abrechnungsbetrug bei Speziallaborleistungen bekommen, bis auf das sogenannte „Pilotverfahren“ und einen kleineren Münchner Fall. Nur kurze Zeit darauf, nämlich Anfang des Jahres 2009, stellte sie alles „mangels Strafbarkeit“ ein. Diese angesichts jahrelanger Ermittlungen radikale Kehrtwende wurde „von oben“ abgesegnet. Deshalb tragen in der Konsequenz die Münchner Generalstaatsanwaltschaft und das Justizministerium die volle Verantwortung dafür, dass das sogenannte „Pilotverfahren“ ins Leere lief, weil der Großteil der Fälle nach dem BGH-Urteil im Januar 2012 verjährt war.
Wie aber kam Augsburg zu dieser fatalen Entscheidung? Wolfgang Natale, derzeit Vorsitzender Richter am Landgericht Augsburg, der als erster der ehemaligen Augsburger Staatsanwälte Rechenschaft ablegen musste, übernahm im März 2008 einen ersten Teil der in München eingeleiteten Ermittlungen, nämlich das sogenannte Konzernverfahren gegen die Firma Schottdorf. Im August 2008 erklärte er sich bei einem Gespräch mit der Generalstaatsanwaltschaft bereit, auch die M III/M IV-Betrugsverfahren von der Staatsanwaltschaft München zu übernehmen. Zur Abgabe auch dieser Fälle nach Augsburg kam es dann im Herbst 2008, als sich Natale praktisch zeitgleich bei der Generalstaatsanwaltschaft bewarb. Denn dort hatte man ihm gute Chancen auf eine Beförderung in Aussicht gestellt.

„Urteil“ schon vor Kenntnis der Akten gefällt
Natale beteuerte mehrfach, dass er sich seine Rechtsmeinung zum Thema M III/M IV-Betrug ganz allein und unbeeinflusst gebildet habe, und zwar erst nach der vollständigen Abgabe der Verfahren im Dezember 2008. Dies kann allerdings nicht überzeugen. Denn zum einen glaubte er aufgrund seiner vorgefassten Meinung, es handle sich nicht um Betrug, auf die Kenntnis der Akten verzichten zu können. Zum anderen geriet durch seine Aussagen wieder die Rolle der Generalstaatsanwaltschaft in ein äußerst dubioses Licht. Sie hat mehrmals in das Verfahren lenkend eingegriffen, als es noch in München geführt wurde. Ganz offensichtlich war man mit der Verfahrensführung durch die Staatsanwaltschaft München I, vor allem mit der des sachleitenden Staatsanwaltes Harz, nicht einverstanden und versuchte die Ermittlungen einzuengen, wo es nur ging. Denn in der Generalstaatsanwaltschaft  war man genau der gegenteiligen Rechtsauffassung, nämlich dass die betreffende Abrechnungsmethode nicht strafbar ist. Aus dieser Sicht machte es nur dann Sinn, die Fälle, und zwar auch die, bei denen die Zuständigkeit in München lag, nach Augsburg abzugeben, wenn dort die Rechtsfrage genauso gesehen wurde wie bei der Generalstaatsanwaltschaft.
Auch Natales Nachfolgerin Daniela Lichti- Rödl, die die Verfahren von Natale übernahm und letztendlich auch die Einstellungsverfügung unterschrieb, als dieser im Januar 2009 zur Generalstaatsanwaltschaft wechselte, teilte die Ansicht, dass es sich nicht um strafbaren Betrug handelte. Auch sie will sich ihre Meinung unbeeinflusst gebildet haben. Beide bleiben auch heute noch auf Linie und betonen, dass sie immer noch der Auffassung sind und die Entscheidung des BGH für „abwegig“ halten. Sie wähnen sich dabei in guter Gesellschaft und verweisen beide bis in Details übereinstimmend auf die Literatur. Sie bereuen ihre Entscheidung also in keinster Weise und scheinen sich der Brisanz nach wie vor offensichtlich nicht bewusst zu sein.

Labor Schottdorf als Zentrum der Ermittlungen
Interessant sind die Gründe, die Natale und Lichti- Rödl für die Abgabe der Fälle nach Augsburg finden. Beide sehen das Labor Schottdorf im Zentrum der Ermittlungen, deshalb läge die sachliche Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft Augsburg. Diese Auffassung ist selbstverständlich gut vertretbar, denn das Labor Schottdorf stellte laut Ermittlungen der SoKo die tatsächlichen Voraussetzungen für die illegale Abrechnungsmethode zur Verfügung. Nur spielte diese Argumentation merkwürdigerweise erst im Herbst 2008 eine Rolle. Im Fokus der tatsächlichen Ermittlungen standen bis dahin als Haupttäter die einsendenden Ärztinnen und Ärzte. Demzufolge wurde die Zuständigkeit seit Beginn der Ermittlungen jahrelang nach deren Wohnort bestimmt. Schottdorfs waren lediglich als Beihelfer eingestuft, die gemeinsam mit einigen Ärztinnen und Ärzten angeklagt werden sollten. Dieser Plan wurde freilich durch die Konzentration auf nur ein Pilotverfahren praktisch unmöglich gemacht.
Als weiteren Grund, weshalb München die Verfahren nicht behalten sollte, wird die Unzufriedenheit der Generalstaatsanwaltschaft München mit dem sachleitenden Staatsanwalt Harz genannt. Weshalb durfte dieser dann aber dennoch das „Pilotverfahren“ machen? Natale und Lichti- Rödl sehen das als „Entgegenkommen“ der Generalstaatsanwaltschaft. Man habe ihm, so vermuten sie, eben nicht alles wegnehmen wollen und er sollte sich selbst „eine blaue Nase beim BGH abholen“. Wie auch immer, die Generalstaatsanwaltschaft wird uns einiges erklären müssen.

Pilotverfahren voll an die Wand gefahren
Die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Augsburg sorgten im Endeffekt dafür, dass das Pilotverfahren mit Einverständnis der Generalstaatsanwaltschaft voll an die Wand gefahren wurde. Die der Einstellung nachfolgende Entscheidung der Staatsanwaltschaft Augsburg, keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen zu ergreifen, ist aus ihrer Sicht als durchaus konsequent anzusehen. Sie ist allerdings höchst widersprüchlich und zweifelhaft auf Ebene der Generalstaatsanwaltschaft.
Am 15.12.2008 verfasste Natale einen Aktenvermerk, in dem er ausführte, weshalb er die in Frage stehende Abrechnungsmethode für nicht strafbar hält. Damit stellte er für alles Weitere die Weichen. Wenn nämlich eine Staatsanwaltschaft etwas für nicht strafbar hält, darf sie keine Ermittlungshandlungen mehr durchführen. Dazu zählen auch die Beantragung von Durchsuchungsbeschlüssen und das Verschicken von Serienbriefen zur Verjährungsunterbrechung, denn beides setzt voraus, dass der zugrundeliegende Sachverhalt als strafbar qualifiziert wird.
Mit diesem Aktenvermerk band er auch seiner Nachfolgerin Lichti- Rödl faktisch die Hände. Sie ist heute auf Natale nicht mehr gut zu sprechen. Denn der hatte sie im Herbst 2008 zunächst gebeten, das Konzernverfahren zu übernehmen, ließ dabei aber vorerst unter den Tisch fallen, dass bald noch hunderte andere Fälle dranhängen würden. Die Diskussionen rund um die Strafbarkeit der Abrechnungsmethode bekam sie zwar mit, ihr war aber bis zuletzt nicht klar, dass Natale die Einstellungsverfügungen nicht mehr selbst fertig machen würde. So traf sie, nach eigener Aussage, beinahe der Schlag, als sie am 16.01.2009, dem Dienstbeginn von Natale bei der Generalstaatsanwaltschaft München, den Aktendeckel aufschlug und sah, dass dieser die Verfahren noch gar nicht abgeschlossen hatte. Dabei hatte die Generalstaatsanwaltschaft bereits am 14.01.2009 ihr Einverständnis mit der Vorgehensweise erklärt. Ihre Verärgerung war so groß, dass sie durchsetzen konnte, dass Natale am 26.01.2009 noch einmal für einen Tag zur Staatsanwaltschaft Augsburg abgeordnet wurde und mit ihr die Einstellungsverfügungen fertigstellte. Diese basierten hauptsächlich auf dem Vermerk Natales vom 15.12.2008. Lichti- Rödl betont aber, dass sie sich auch in rechtlicher Hinsicht mit der Sache auseinandergesetzt habe und hinter der Entscheidung Natales stand. Die Einstellungsverfügungen gingen am 28.01.2009 raus. Damit, das wurde diese Woche endlich auch für die CSU klar erkennbar, hatte „das Pilotverfahren überhaupt keinen Wert“ mehr.

Karrieresprung nach fatalen Entscheidungen
Noch heute steht Natale voll und ganz hinter seinen Entscheidungen. Er findet nichts falsch daran, dass er beispielsweise die Akten nicht gelesen hat. Seine teils überheblichen Antworten bringen selbst die CSU auf die Barrikaden: Ein Abgeordneter lässt sich gar zu den Fragen hinreißen, ob er sich seine Rechtsansicht zwischen zwei Wurstsemmeln gebildet habe und ob die Staatsanwaltschaft nicht eigentlich Anklage- statt Einstellungsbehörde sei. Auch darauf antwortet Natale selbstbewusst: Wenn er zu dem Schluss kommt, dass das zugrundeliegende Verhalten nicht strafbar ist, muss er nicht weiter tätig werden und kann einstellen. Und er brauche schließlich nicht länger als zwei intensive Tage, um sich eine rechtlich fundierte Meinung zu einem Sachverhalt zu bilden. Seine Entscheidung stützte er dabei hauptsächlich auf die Literaturmeinung. Dass andere Gerichte sich bereits mit der Frage auseinandergesetzt hatten und die Strafbarkeit grundsätzlich bejahten, bezog er in seine Überlegungen nicht mit ein.
Natale stellte, mit Wissen und Billigung der Generalstaatsanwaltschaft und Ministerium die Verfahren ein bzw. ließ sie einstellen, und wurde befördert. Dass zeitgleich im selben Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft München, zu der er gerade wechselte, ein „Pilotverfahren“ zur angeblichen Klärung der Rechtslage lief, dem intensive, jahrelange Ermittlungen vorausgingen, hat ihn nach eigenen Aussagen nicht weiter gekümmert. Schließlich sei es in der „Juristerei“ nun mal so, dass Meinungen diametral auseinandergehen. Die Generalstaatsanwaltschaft habe dann die Aufgabe für Rechtsgleichheit in ihrem Bezirk zu sorgen, das könne er nicht beeinflussen.
Mit diesen Aussagen von Natale und Lichti-Rödl erledigt sich ein möglicher Versuch, das ganze Dilemma diesen beiden bzw. der Staatsanwaltschaft Augsburg in die Schuhe zu schieben, um die politische Seite aus dem Schussfeuer zu nehmen. Denn verantwortlich für Gleichheit vor dem Gesetz und die Rechtseinheit in ihrem Bezirk ist tatsächlich die Generalstaatsanwaltschaft München. Sie hat zunächst das Verfahren bis zur Unkenntlichkeit eingeengt und dann nach Augsburg gegeben, im Wissen um und offensichtlich auch zum Zwecke der Einstellung. Das wiederum hat sie nicht ohne Rückendeckung des Justizministeriums gemacht.

Ankündigung 28. Sitzung des UA Labor

Am Montag, den 19.10.2015 ab 14 Uhr sagen zwei ehemalige Staatsanwälte aus Augsburg vor dem Untersuchungsausschuss aus. Wolfgang Natale übernahm im Frühjahr 2008 das sogenannte “Konzernverfahren” von Staatsanwalt Harz und bereitete auch die Einstellungsverfügungen der M III/ M IV Betrugsfälle vor. Die Einstellungen selbst wurden von seiner Nachfolgerin Daniela Lichti- Rödl vorgenommen. Wir werden sie mit den Aussagen der Münchner Kolleginnen und Kollegen konfrontieren und uns insbesondere erklären lassen, weshalb damals keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen getroffen wurden.

Verfolgen Sie @GrueneLandtagBY und @SeppDuerr auf Twitter, um während der Sitzung auf dem Laufenden zu bleiben.

Generalstaatsanwaltschaft gängelt, steuert und greift ein

In den zwei vergangenen Sitzungen kam der Untersuchungsausschuss der Wahrheit einen großen Schritt näher. Besonders brisant war die Aussage des derzeitigen Präsidenten des Landgerichtes München II, Christian Schmidt-Sommerfeld. Er war in den Jahren 2003 bis 2009 Behördenleiter der Staatsanwaltschaft München I und damit der oberste Chef des zunächst zuständigen Staatsanwalts Harz. Schmidt- Sommerfeld, 66 Jahre alt, renommierte Persönlichkeit und ausgezeichneter Jurist, war bei seiner Aussage ungewöhnlich offen und benannte klar die Eingriffe der Generalstaatsanwaltschaft im Fall „Schottdorf“.

Keine guten Gründe für Abgabe nach Augsburg
Bis heute ist für ihn besonders schwer nachvollziehbar, warum im Herbst 2008 alle Fälle – bis auf das Pilotverfahren und einen kleineren Fall – zur Staatsanwaltschaft Augsburg gingen. Von Seiten des Justizministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft München war bisher immer geäußert worden, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg originär für diese Betrugsfälle zuständig gewesen sei. Dieser Auffassung traten sowohl Harz, seine ehemalige Kollegin und heutige Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl und nicht zuletzt auch Schmidt-Sommerfeld entschieden entgegen.
Juristisch gesehen, wird die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften zunächst nach dem Tatort bzw. dem Wohnort der Täterin oder des Täters entschieden. Im Fall der betroffenen Münchner Ärztinnen und Ärzte lag also die Zuständigkeit eindeutig bei der Staatsanwaltschaft München I. Eine Zuweisung aller Fälle zur Münchner Staatsanwaltschaft, um diese zentral bearbeiten zu lassen, wäre möglich gewesen, wurde aber als unnötig verworfen, da sich für alle dort bearbeiteten Fälle eine originäre Zuständigkeit herleiten ließ. Geplant war lange, die einzelnen Fälle, je nach Wohnort der betroffenen Ärztin oder des betroffenen Arztes, an die zuständigen Staatsanwaltschaften im ganzen Bundesgebiet abzugeben. Eine Abgabe aller Fälle nach Augsburg wurde erst im Herbst 2008 zum Thema. In diesem Zusammenhang wurde von den Zeugen immer wieder eine Intervention von Schottdorfs Anwalt Gauweiler als Auslöser genannt. Denn davor war zwar das sogenannte „Konzernverfahren“ nach Augsburg abgegeben worden, allerdings mit dem Hintergrund, dass dabei im Zentrum der Ermittlungen nur das in Augsburg befindliche Labor Schottdorf stand. Überzeugende Gründe für die Abgabe der Münchner Verfahren nach Augsburg hat Schmidt- Sommerfeld, nach eigener Aussage, bis heute nicht gehört.  Zu diesem Zeitpunkt, da diese Fälle so gut wie ausermittelt waren, sei eine Abgabe auch äußerst inneffektiv gewesen bzw., wenn man eine Einstellung für gut befand, so Schmidt-Sommerfeld, „sehr effektiv“.

„Ungewöhnliche“ Eingriffe
Als besonders „ungewöhnlich“ empfunden wurde von den Zeugen die äußerst kurzfristige Ansage der Generalstaatsanwaltschaft an die Staatsanwaltschaft München I im Herbst 2008, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte an einer bereits geplanten und kurz bevorstehenden Durchsuchung nicht teilnehmen dürften. Dies sorgte für Unmut innerhalb der Staatsanwaltschaft. Zu dieser Zeit lief nämlich auch das Siemens- Verfahren, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte waren mehr als ausgelastet und mussten sich, nach Aussage von Bäumler- Hösl, die Zeit für die Durchsuchung förmlich „aus den Rippen schneiden und den Sachverhalt „reinbimsen“. In ihrer gesamten Zeit als Staatsanwältin hätte sie so einen Eingriff durch die Generalstaatsanwaltschaft noch nicht erlebt. Gerade in der Korruptionsabteilung sei es absolut gängig, dass die Staatsanwaltschaft bei der Durchsuchung mitgehe. Großer Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass sofort an Ort und Stelle Vernehmungen durchgeführt werden können, es also keine Möglichkeit zu Absprache gibt.
Auch Schmidt- Sommerfeld bestätigte, dass die Einmischungen der Generalstaatsanwaltschaft in diesem Fall sehr ungewöhnlich waren. Diese habe das Verfahren praktisch an sich gezogen und dabei ihn als Behördenleiter seit Anfang 2008 systematisch übergangen.

Verjährung bewusst in Kauf genommen
Schmidt- Sommerfeld und die Zeugin Bäumler-Hösl berichteten, übereinstimmend mit Harz, davon, dass es ab einem bestimmtem Zeitpunkt seitens der Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr erwünscht war, Durchsuchungsbeschlüsse zu beantragen, Durchsuchungen durchzuführen  oder andere verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu treffen.
Beispielsweise wurde Harz durch mündliche Weisung der Generalstaatsanwaltschaft die Versendung von Serienbriefen untersagt. In diesen Briefen wären die Ärztinnen und Ärzte darauf hingewiesen worden, dass gegen sie wegen Betruges ermittelt wird. Eine solche Maßnahme wurde von Seiten der Generalstaatsanwaltschaft im Verfassungsausschuss des Landtages am 22.05.2015 als impraktikabel dargestellt, auch mit dem Hinweis, dass dadurch Beweismittel verloren gehen könnten, wenn die Betroffenen so gewarnt würden und anfingen, Patientenakten zu vernichten. Dieser Argumentation folgte Schmidt-Sommerfeld nicht. Zunächst einmal geht er nicht davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte berufsrechtswidrig Patientenakten vernichten. Selbst wenn es der eine oder andere gewagt hätte, hätte man die Rechnungen immer noch von Versicherungen, Beihilfestellen oder den Patientinnen und Patienten selbst anfordern können. Im Übrigen vertritt er die Ansicht, dass es auch nicht hätte schaden können, die Ärztinnen und Ärzte zu warnen, damit sie wenigstens nach Erhalt des Briefes die rechtswidrige Abrechnungsmethode sein lassen. So haben offenbar sehr viele Ärztinnen und Ärzte nicht mitbekommen, dass überhaupt gegen sie ermittelt wurde und es besteht die Gefahr, dass einige bis heute betrügerisch abrechnen. Deshalb kann Schmidt-Sommerfeld auch nicht nachvollziehen, weshalb man nicht die ärztlichen Berufsaufsichtsbehörden informierte. Schließlich melde die Staatsanwaltschaft Verstöße von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gegen deren Berufsordnung immer sehr schnell der Rechtsanwaltskammer. All diese Maßnahmen wurden, nach Aussage von Schmidt-Sommerfeld, von der Generalstaatsanwaltschaft gestoppt. Er hatte den Eindruck, dass sie nicht „erwünscht“ waren. Damit ist klar, dass die Generalstaatsanwaltschaft München wissentlich und mit Einverständnis des Justizministeriums die Verjährung tausender Abrechnungsbetrügereien in Kauf genommen hat.

Generalstaatsanwaltschaft gegen Staatsanwaltschaft München I
Weshalb griff die Generalstaatsanwaltschaft ausgerechnet in diesem Verfahren so massiv ein? Ein Grund war die unterschiedliche Rechtsauffassung von Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft München I. Während sich die Generalstaatsanwaltschaft auf den Standpunkt stellte, es würde sich bei den illegalen Abrechnungen nicht um Betrug handeln, vertrat die gesamte Staatsanwaltschaft München I die gegenteilige Ansicht. Der sachleitende Staatsanwalt Harz stützte diese Rechtsauffassung nicht nur auf ein großes Verfahren aus Frankfurt, einen Strafbefehl aus Hof und ein Urteil des Landgerichtes Regensburg, die alle von der Strafbarkeit ausgegangen waren. Zudem erarbeitete er umfangreiche, juristisch sauber durchgeprüfte detaillierte Vermerke, die sich mit den Bedenken der Generalstaatsanwaltschaft auseinandersetzten, um diese von seiner Ansicht zu überzeugen. Die wich aber nicht von ihrer Meinung ab. Bemerkenswerterweise ging sie dabei aber weder auf die Argumente von Harz ein noch brachte sie neue Gesichtspunkte vor.
Bisher war in Einlassungen von Ministerium und Generalstaatsanwaltschaft immer wieder durchgeklungen, Harz hätte eine abseitige Einzelmeinung gehabt, die gerade noch so „vertretbar“ gewesen wäre. Tatsächlich aber standen alle in der Staatsanwaltschaft München I mit der Sache befassten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bis hinauf zum damaligen Behördenleiter Schmidt-Sommerfeld, geschlossen hinter Harz. Schmidt-Sommerfeld geht davon aus, dass er nach Januar 2008 von der Generalstaatsanwaltschaft deshalb nicht mehr in das Verfahren einbezogen wurde, weil bekannt war, dass er dieselbe Meinung wie Harz vertrat und durchaus „bockig“ sein konnte, wenn es darum ging diese gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft durchzusetzen.

Attacke auf den Staatsanwalt
Harz, ein hervorragender Jurist, der aufgrund seiner beeindruckenden Kenntnis der Rechtsprechung von seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sogar als „unser BGH“ bezeichnet wurde, arbeitete sich intensiv in das Verfahren ein. Zunächst ließ man ihn seitens der Generalstaatsanwaltschaft gewähren. Aber als das Ausmaß seiner Ermittlungen klarer wurde, hat sie ihm die Beantragung weiterer Durchsuchungsbeschlüsse untersagt. Es folgte die Abgabe des „Konzernverfahrens“ im Frühjahr 2008 nach Augsburg. Harz ließ aber nicht locker und wollte im Sommer 2008 eine weitere Durchsuchung durchführen, die schließlich im Herbst 2008 abgesagt wurde. Hinzu kam ein etwas unglücklich formulierte Brief der „SoKo Labor“ an den Verband der Privaten Krankenkassen, der eine Schadensersatzdrohung von Schottdorfs Anwalt Gauweiler auslöste. Unmittelbar danach, im Herbst 2008, kam es offenbar zum Stimmungsumschwung bei der Generalstaatsanwaltschaft. Offensichtlich wollte man Harz ab diesem Zeitpunkt von den Verfahren abziehen. Auch Schmidt-Sommerfeld bestätigte explizit den Eindruck, dass die weitere Bearbeitung durch Harz und die Durchsetzung seiner Rechtsmeinung nicht mehr erwünscht war. Deshalb ließ man Harz noch das Pilotverfahren zur Anklage bringen. Aber die anderen Fälle musste er an die Staatsanwaltschaft Augsburg abgeben, die schon im Vorfeld klargestellt hatte, dass sie die Rechtsauffassung von Harz nicht teile und die Verfahren nach Genehmigung durch die Generalstaatsanwaltschaft sofort einstellen würden.
Am Ende lud man Harz zur Besprechung seines Referates bei der Generalstaatsanwaltschaft und setzte ihm unrealistische Fristen zum Abschluss seiner Verfahren und machte deutlich, dass man sehr gerne seine sofortige Bewerbung ans Oberlandesgericht sehen würde.  Dieser enorme persönliche Druck zeigte – wie für seine Chefin auch für seine Kollegin – erkennbar Wirkung: Harz wehrte sich nicht mehr.
Die Ladung von Harz zum „Rapport“ bei der Generalstaatsanwaltschaft ist ein weiterer, höchst ungewöhnlicher Vorgang, den man so bei der Staatsanwaltschaft noch nicht kannte. Dies bestätigten übereinstimmend sowohl Bäumler-Hösl, die als Bürokollegin von Harz dessen Betroffenheit darüber unmittelbar mitbekommen hatte, wie auch Schmidt-Sommerfeld.

Angst vor den Ärzten
Als Hintergrund der Einmischungen der Generalstaatsanwaltschaft im Fall „Schottdorf“ kristallisiert sich immer mehr die Angst vor der mächtigen Ärztelobby heraus. Im Wahljahr 2008 hatte die CSU bereits großen Ärger mit dem Hausärzteverband – bis hin zu Plakataktionen und Streikdrohungen. Ein Verfahren wegen Abrechnungsbetruges gegen bis zu 10 000 Ärztinnen und Ärzten kam da wohl denkbar ungelegen. Man einigte sich also zähneknirschend auf ein einziges Pilotverfahren und verweigerte Harz flächendeckende Maßnahmen, um „die Pferde nicht scheu zu machen“, vermutete Schmidt-Sommerfeld. Dieser glaubt auch, dass bei der Entscheidungsfindung durch die Generalstaatsanwaltschaft mitgeschwungen haben könnte, dass Bernd Schottdorf bereits einmal freigesprochen worden war und im Zuge dessen umfangreiche Schadensersatzansprüche gegen den Freistaat Bayern geltend machte. Als dann im Herbst 2008 der Brief Gauweilers kam, der genau damit wieder drohte, sei wohl Feuer unter dem Dach der Generalstaatsanwaltschaft gewesen.
In der Staatsanwaltschaft München I dagegen war die Angst vor Schottdorf nicht so ausgeprägt. Ganz im Gegenteil wollte man anfangs die Klagefreudigkeit des Herrn Schottdorf sogar nutzen. Als dieser und ein paar andere Ärztinnen und Ärzte Beschwerde gegen die Durchsuchungen eingelegt hatten, erhoffte man sich, dass das Landgericht, das über diese entscheiden musste, auch Stellung zur Frage der Strafbarkeit nehmen würde. Das hätte auch eine Signalwirkung in Richtung der Generalstaatsanwaltschaft haben können. Aber diese Beschwerden wurden „seltsamerweise“, so Schmidt-Sommerfeld, zurückgezogen. „Seltsamerweise“ deshalb, weil Herr Schottdorf, sonst dafür bekannt, keinem Rechtstreit aus dem Weg zu gehen, in diesem Fall von der Möglichkeit keinen Gebrauch machte. Das Landgericht München I konnte also erst mit Zulassung der Anklage im Pilotverfahren im Herbst 2009 Stellung dahingehend nehmen, dass sie die Ansicht der Staatsanwaltschaft München I teilte. Da hatten die Augsburger Staatsanwälte die anderen Verfahren aber längst eingestellt.

Pilotverfahren lässt Abrechnungssystem außen vor
Ursprünglich plante die Staatsanwaltschaft München I zunächst, einige Münchner Ärztinnen und Ärzte als Haupttäter und Bernd Schottdorf als Beihelfer vor dem Landgericht anzuklagen. Denn Ziel der Münchner Staatsanwaltschaft war dabei ausdrücklich, das dahinter stehende „System“ ins Blickfeld zu nehmen. Die Rolle des Labors Schottdorf dabei benennt Schmidt-Sommerfeld klar: Dieses war Kernpunkt der Ermittlungen, hier sei das Abrechnungssystem entwickelt, zur Verfügung gestellt, erläutert und verkauft worden, aufgrund dessen die verdächtigten Ärzte betrügen konnten. Deswegen hätte, so Schmidt-Sommerfeld, Schottdorf mit auf die Anklagebank gehört. Weshalb man sich schließlich für nur ein einziges „Pilotverfahren“ entschied und dabei Schottdorf nicht der Beihilfe anklagte, kann er sich nicht schlüssig erklären.
Die Einstellung aller Verfahren durch die Staatsanwaltschaft Augsburg, hat ihn verblüfft, wenn nicht gar verstimmt. Schließlich wurde damit auch die intensive, langjährige Arbeit seiner Behörde zunichte gemacht. Er ging stets davon aus, dass Augsburg die Verfahren mit verjährungsunterbrechenden Maßnahmen offen hält und das Pilotverfahren abwartet. Nachdem der BGH letztendlich der Rechtsansicht von Harz im Jahr 2012 Recht gab, dachte er sich leicht schadenfroh: „Typisch, der Harz ist doch ein guter Jurist!“
Doch das Pilotverfahren verpuffte bekanntermaßen ohne irgendeinen Effekt. Der Großteil der Verfahren war verjährt, der in Tausenden Fällen der Beihilfe verdächtige Schottdorf kam straflos davon.

Vier Jahre ergebnislose Ermittlungen gegen Journalist und Polizisten
Wie unterschiedlich und völlig anders Verfahren laufen können, zeigte sich am Fall des Passauer Journalisten Denk. Dieser war, wie er selber öffentlich machte, in Besitz einer Kopie eines Spendenschecks und ein damit zusammenhängendes Schreiben Schottdorfs an den ehemaligen Ministerpräsidenten Stoiber. Deshalb wurde Denk wurde Anfang 2010 von den Anwälten Schottdorfs angezeigt und noch am selben Tag durch die Staatsanwaltschaft München I wegen des abstrusen Vorwurfs verfolgt, er hätte E- Mail- oder Faxverkehr abgehört (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB). Recht schnell ergab sich aber auch der Verdacht, dass Denk die Unterlagen von ehemaligen Mitgliedern der „SoKo Labor“ bekommen haben könnte. Daraufhin wurde ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen (§ 353b StGB) eingeleitet. Fokussiert wurden die Ermittlungen aber zunächst nur auf drei Beamte der SoKo: Sattler, Mahler und Schötz. Der Grund: Sie hätten ein Motiv gehabt, weil es bereits Anzeigen „aus verschiedenen Richtungen“ gegen sie gegeben hätte. Eine absurde Logik: denn gegen den Beamten Schötz gab es keine Anzeigen, die Anzeigen gegen Sattler und Mahler kamen aber nur aus einer Richtung: von Schottdorf bzw. seinen Anwälten, unter anderem wegen der Verfolgung Unschuldiger und uneidlicher Falschaussage. Beide Verfahren wurden eingestellt, weil die Vorwürfe nicht aufrechterhalten werden konnten. Dennoch wurde gegen die drei durch das Polizeipräsidium Mittelfranken ermittelt, u.a. durch die Auswertung der Laufwerke ihrer Dienstcomputer. Obwohl nichts gefunden und der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden konnte, so bereits ein Ermittlungsbericht aus dem Sommer 2011, wurden die Ermittlungen ausgeweitet. Zwischenzeitlich hat man, so auch die Akten, die dem Untersuchungsausschuss vorliegen, gegen Denk zusätzlich wegen der Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen ermittelt. Die Auswertung von Fragebögen an alle ehemaligen SoKo-Mitglieder im Frühjahr 2012 brachte ebenfalls kein Ergebnis. Dennoch wurden die Verfahren erst Anfang 2014 gegen den Journalisten Denk und gegen Unbekannt eingestellt. Nach sage und schreibe vier Jahren. Druck von der Generalstaatsanwaltschaft München, das Verfahren endlich abzuschließen gab es hier, im Gegensatz zum Pilotverfahren, nicht.

Justizministerium unter Rechtfertigungsdruck
Bayerns Justizministerium gerät immer stärker unter Rechtfertigungsdruck. Nachdem bereits letzte Woche die ehemalige Justizministerin Beate Merk der Lüge gegenüber dem Landtag überführt werden konnte, verdichten sich die Hinweise auf noch andere Unwahrheiten, mit denen der Landtag abgespeist wurde.
Eine besonders zweifelhafte Rolle spielt hierbei der neue Münchner Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel. Dieser war zu Zeiten des Falls „Schottdorf“ in der Generalstaatsanwaltschaft Leitender Oberstaatsanwalt und zuständig für dieses Verfahren. Er war es laut Zeugenaussagen, der die verfahrensleitenden Anweisungen an Harz gab und damit mitverantwortlich für dessen Ausgang ist.
Zudem bestritt Nötzel, als damaliger Leiter der Staatsanwaltschaft München I, in einer Sitzung des Verfassungsausschusses des Bayerischen Landtages am 30.01.2014, dass gegen den Journalisten Denk wegen Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen ermittelt wurde, obwohl Akten, als auch Zeugenaussagen inzwischen ein anderes Bild ergeben. Ob er mit dieser Aussage das Parlament belogen hat, muss noch genauer überprüft werden, ggf. durch weitere Zeugenladungen.
Dass Manfred Nötzel ausgerechnet jetzt als Generalstaatsanwalt eingesetzt wird, wirft kein gutes Licht auf den Justizminister.

Mangelnder Aufklärungswille
Weil sie seit den Befragungen der Vorwoche als Lügnerin dasteht, wollten wir die sofortige Ladung der ehemaligen Justizministerin Beate Merk durchsetzen, um sie mit den Aussagen der Münchner Staatsanwältinnen und Staatsanwälte konfrontieren zu können. Aber unser Beweisantrag scheiterte wenig erfreulich, aber erwartungsgemäß an den Stimmen der CSU. Offenbar eilt es weder ihr noch der Ministerin noch dem Ministerpräsidenten mit der Aufklärung dieser brisanten Frage.
In den nächsten Wochen erwarten wir mit Spannung die Aussagen der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus Augsburg. Wir werden sie mit den Aussagen der Münchner Kolleginnen und Kollegen konfrontieren und versuchen, die Einflussnahme der Generalstaatsanwaltschaft und damit auch des Justizministeriums noch detaillierter nachzuweisen.

Der Schlüsselzeuge: Massive Eingriffe der Generalstaatsanwaltschaft

24./ 25. Sitzung des UA Labor
Massiver Druck, den die Mitglieder der „SoKo Labor“ nur in unterschwelligen Ausläufern zu spüren bekam, wurde auf mindestens eine Person direkt ausgeübt: auf Andreas Harz, damals sachleitender Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I in dem Verfahren rund um das Labor Schottdorf. Harz, ein hervorragender Jurist und inzwischen Vorsitzender Richter am Landgericht München I, schilderte während seiner Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss „Labor“ eindrücklich, wie er von der Generalstaatsanwaltschaft München gemobbt, gegängelt und gesteuert wurde.
Damit widerspricht er eklatant der Darstellung von Dr. Christoph Strötz von der Generalstaatsanwaltschaft München vor dem Verfassungsausschuss am 22.05.2014 und der Beantwortung einer Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2010 durch die damalige Justizministerin Beate Merk. Beide Male wurde behauptet, dass die Generalstaatsanwaltschaft München keinerlei Weisungen an die sachleitenden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegeben habe. Schriftliche Weisungen gab es wohl tatsächlich nicht, aber Harz zählt acht mündliche Anweisungen auf, denen er Folge zu leisten hatte. Selbst in die Absprache im Fall Staatsanwalt H. sei die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) eingebunden gewesen, das stellte Richterin Brigitte Schroeder, die damalige Vorgesetzte von Andreas Harz, bei ihrer Einvernahme am Tag darauf klar.

Der Fall Schottdorf: Abertausende Ärzte als Abrechnungsbetrüger verdächtig
Begonnen hatten die Verfahren rund um das Labor „Schottdorf“ mit einem Bestechungsverdacht gegen einen Augsburger Staatsanwalt. Dieser Fall war so brisant, dass er eine Berichtspflicht an die GenStA auslöste. Auch als dieser Fall abgeschlossen war, musste nicht nur weiterhin stetig an die GenStA berichtet werden, Harz als sachleitender Staatsanwalt musste auch des Öfteren persönlich zu Gesprächen mit der GenStA, um den Fall zu diskutieren. Im Zuge des Verfahrens gegen den Augsburger Staatsanwalt wurden zwei Fälle des Abrechnungsbetruges bei Speziallaborleistungen im Zusammenhang mit dem Labor Schottdorf wieder aufgerollt, die eben dieser Staatsanwalt eingestellt hatte. Es musste geklärt werden, ob die Einstellungen rechtmäßig gewesen waren oder ob sie in direktem Zusammenhang mit einem Darlehen, das Bernd Schottdorf dem Staatsanwalt einige Jahre zuvor gewährt hatte, standen.
Schnell weitete sich der Verdacht des Abrechnungsbetruges bei Speziallaborleistungen gegen etwa 10 000 Ärztinnen und Ärzte bundesweit aus. In Bayern waren es ca. 3000. Deshalb wurde, um die Arbeit halbwegs bewältigen zu können, ein Schwellenwert von 2500 Euro festgelegt, ab dem eine strafrechtliche Verfolgung stattfinden sollte. Außerdem wollte man die außerbayerischen Verfahren über die Generalstaatsanwaltschaften an die örtlich zuständigen Behörden abgeben. Danach blieben noch ungefähr 500 bayerische Fälle, die Harz als sachleitender Staatsanwalt bearbeitete.

Weichenstellung durch die GenStA: Mit Karacho an die Wand
Als erster Schritt sollten einige Münchner Ärztinnen und Ärzte angeklagt, der Rest auf dem „Büroweg“ abgearbeitet werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Wegen eklatant auseinander gehenden Rechtsmeinungen zwischen Staatsanwaltschaft München I und Generalstaatsanwaltschaft München, entschied man sich, zunächst nur ein Pilotverfahren durchzuführen. Während Harz und auch seine Vorgesetzte Brigitte Schroeder von der Strafbarkeit wegen Betruges überzeugt waren und sich dabei u.a. auf ein umfangreiches Verfahren aus Limburg an der Lahn und ein Urteil des Landgerichtes Regensburg stützen konnten, war die Generalstaatsanwaltschaft anderer Meinung. Deren juristische Begründung war allerdings eher mager. Größer war sicher die Angst vor der mächtigen Ärztelobby. Denn im Sommer des Wahljahres 2008 gab es in Bayern bereits einen erbitterten Streit mit dem Hausärzteverband, der die CSU ohnehin schon mächtig unter Druck setzte. Verfahren gegen hunderte oder gar tausende Ärzte wären da mehr als ungelegen gekommen.

„Breitseite von Weisungen“
Als für Korruption zuständiger Staatsanwalt war Harz aber nicht bereit, Betrügereien einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Daher wurde er von der GenStA immer wieder in fruchtlose Diskussionen verstrickt. Schließlich hat die GenStA das Verfahren zunehmend durch Anweisungen eingeengt und ihm scheibchenweise entzogen.
Ende 2007 hatte man sich geeinigt, zur Klärung der Rechtsfragen zunächst ein Pilotverfahren durchzuführen. Danach wurde Harz angewiesen, keine neuen Durchsuchungen mehr zu machen. Bei den durchsuchten Ärztinnen und Ärzten hätten diese verjährungsunterbrechend gewirkt. Damit die Ärztinnen und Ärzte, die zunächst zurückgestellt wurden, nicht straflos davonkommen würden, wenn das Pilotverfahren erfolgreich wäre, wollte Harz zur Verjährungsunterbrechung  zumindest Serienbriefe verschicken. Auch das wurde ihm von der GenStA untersagt, weil man die Ärztinnen und Ärzte nicht unnötig belasten und möglicherweise Unschuldige nicht grundlos verdächtigen wollte. Völlig unberücksichtigt blieb bei dieser Argumentation, dass die betreffenden Mediziner auf jeden Fall gesetzwidrig abgerechnet und gegen Berufsrecht verstoßen hatten. Dieser Brief wäre wohl auch Warnung genug gewesen, künftig regelkonform abzurechnen.
Im Frühjahr 2008 wurde das sogenannte Konzernverfahren abgespaltet und nach Augsburg abgegeben. Auch diese Entscheidung ging auf die GenStA zurück.
Bei einer fragwürdigen „Laborbesichtigung“ durch die Staatsanwaltschaft München I, zu der die Schottdorfs über ihre Anwälte eingeladen hatten, verplapperte sich Frau Schottdorf: Sie erzählte nebenbei, dass das Labor Schottdorf nuklearmedizinische Laborleistungen bei einem anderen Speziallabor einkauft und dann mutmaßlich als eigene Leistung weiterverkaufen würde. Das wäre eine weitere Betrugsvariante gewesen. Um diesem Verdacht eigenständig nachzugehen, erwirkte Harz im Frühsommer 2008 einen entsprechenden Durchsuchungsbeschluss. Doch das LKA wollte seiner Aufforderung die Durchsuchung endlich durchzuführen, aus Personalnot zunächst nicht nachkommen. Als er sich endlich durchgesetzt hatte, alles bereit und sieben Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Durchsuchung eingeplant waren, teilte ihm seine Chefin Brigitte Schroeder mit, dass die GenStA die Teilnahme der Staatsanwaltschaft verboten hatte. Dies wollte Harz nicht akzeptieren; er verlangte eine schriftliche Weisung, um dagegen offiziell remonstrieren zu können. Aber statt ihm eine Weisung zu erteilen, hat ihm die GenStA im Herbst 2008 alle noch verbliebenen Fälle – bis auf das Pilotverfahren und den schon fast abgeschlossenen Fall einer Münchner Ärztin – entzogen und nach Augsburg abgegeben. Auch die bereits weit ausermittelten Münchner Fälle gingen nach Augsburg, obwohl hier die originäre Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft München I lag.
Harz beschreibt die Einmischungen der GenStA „als Breitseite von Weisungen“, die er so noch nicht erlebt habe. Im Laufe des Verfahrens sei deshalb sein Gefühl gewachsen, dass die weitere Bearbeitung durch ihn von der Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr gewünscht sei. Schließlich wurde ihm im November 2008 seitens der Generalstaatsanwaltschaft sogar nahegelegt, sich am Oberlandesgericht zu bewerben. Dieser spürbare  Vertrauensverlust führte dazu, dass Harz der Aufforderung freiwillig nachkam, obwohl er sich selbst erst ein halbes Jahr später hätte bewerben wollen. Das Verfahren rund um das Labor Schottdorf empfindet Harz im Rückblick als gescheitert: „Wir sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger geendet.“ Letztendlich wurde nur ein Arzt verurteilt, 11 Fälle wurden gegen Geldauflage eingestellt und ca. 9990 sind davongekommen.

Der Tritt ins Knie
Während seiner Zeugenaussage versuchte Harz immer wieder gute Gründe für die einzelnen Entscheidungen der GenStA zu finden und betonte, dass er sie größtenteils für „vertretbar“ hielt. Auch wenn er jeweils anders gehandelt hätte – und letztendlich Recht behielt.
Entsetzt dagegen war Harz von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Augsburg, alle Verfahren einfach in einem Aufwasch einzustellen. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er hatte auch dem Gerücht, dass alles eingestellt wird, wenn das Verfahren nach Augsburg geht, nie Glauben geschenkt. Insbesondere die Einstellung der Tatvariante „M III in LG“, die Erbringung von Speziallaborleistungen in Laborgemeinschaften, bezeichnet er als „rechtswidrig“ und „unvertretbar“.
Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft Augsburg damals sei auch ein unfreundlicher Akt („ein Tritt ins Knie“) gegenüber ihm und der Staatsanwaltschaft München I gewesen. Schließlich hatten sie gerade die Anklageschrift gegen den „Pilotarzt“ A. bei Gericht eingereicht, in der ausgeführt wurde, weshalb die Abrechnungsmethode im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen rechtswidrig war. Ausgerechnet in dem Moment stellte eine Staatsanwaltschaft aus demselben Bezirk ca. 150 nahezu identische Verfahren mangels Strafbarkeit ein. Auch dafür muss die Generalstaatsanwaltschaft München die Hauptverantwortung tragen. Denn ihre Aufgabe wäre es gewesen, in ihrem Bezirk für gleichwertige Rechtsverhältnisse zu sorgen. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass sie die Verfahren tatsächlich mit dem Ziel nach Augsburg gegeben hat, um sie dort einstellen zu lassen.

Auf der Suche nach der „politischen Einflussnahme“
Man liest es immer wieder: Zeuginnen und Zeugen sagen im Untersuchungsausschuss aus, dass auf sie persönlich kein politischer Einfluss ausgeübt wurde. Gab es also keinen? Selbstverständlich gab es ihn. Aber auf anderen, wesentlich höheren Ebenen – und auf wesentlich subtilere Art, als sich das viele vorstellen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat, das ist nach den jüngsten Befragungen klar, im Fall Schottdorf massiven politischen, weil insistierenden, nicht sachgerechten und die Eigenständigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaft aushebelnden Druck ausgeübt. Das hat dazu geführt, dass die gut begründeten Vorhaben der zunächst zuständigen Staatsanwaltschaft in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Die GenStA ist als politisch besetzte Einrichtung das Zwischenglied zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaft und kann auch als verlängerter Arm des Ministeriums bezeichnet werden. Deshalb muss die Suche nach der politischen Einflussnahme nun eine Stufe weiter oben ansetzen.
Ungewöhnlich für normal Sterbliche ist auf jeden Fall: Der Verteidiger der Schottdorfs, der Ex-Minister und führende CSU-Politiker Gauweiler, fand stets ein offenes Ohr bei Staatsanwälten und Generalstaatsanwaltschaft. Das ist offenbar ein Privileg, das man kaufen kann. Voraussetzung ist, dass man sich als Beschuldigter Ex-Minister leisten kann. Wenn Gauweiler einmal nicht empfangen wurde, habe sich sofort das Justizministerium als Türöffner eingeschaltet.
Nachdem die „SoKo Labor“ im Sommer 2008 einen Brief an den Verband der privaten Krankenversicherungen herausgeschickt hatte, der über den Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit Speziallaborleistungen informierte, drohte Schottdorf durch seinen Anwalt Gauweiler mit Schadensersatzforderungen gegen den bayerischen Staat. Harz hatte in nachfolgenden Gesprächen mit der GenStA das Gefühl, dass die Intervention Gauweilers für großen Wirbel sorgte. Diese Intervention, vermutet Harz, sei der maßgebliche Grund gewesen für die danach geänderte Verfahrensführung, insbesondere für die Absage der geplanten Durchsuchungen und die Abgabe der Verfahren nach Augsburg. Alle bisherigen Erkenntnisse stützen seine Vermutung.
Politischen Einfluss zu beweisen, ist äußerst schwierig. Denn er setzt ja gerade darauf, nicht ertappt zu werden und sich hinter „vertretbaren“ Entscheidungen zu verstecken. Und schriftlich wird natürlich ohnehin nichts festgehalten. Mündliche Weisungen zu offenbaren, braucht es für die Angewiesenen Mut und Selbstvertrauen – wie zu unser aller Glück eben der ehemalige Korruptionsstaatsanwalt Harz wieder gezeigt hat. Insbesondere in Bayern gibt es, nicht zuletzt aufgrund der seit Jahrzehnten fehlenden Regierungswechsel, zusätzlich noch das Problem des „vorausstolpernden Gehorsams“, wie es der ehemalige bayerische Minister Sinner einmal nannte. Man weiß „unten“ schon, was „die Oberen“ wünschen und vor allem, was sie auf keinen Fall wünschen – und handelt entsprechend.